Guten Abend, meine Damen und Herren
Ich begrüße Sie herzlich zu unserer inzwischen 3. Veranstaltung im Rahmen der Reihe „Lobbacher Gespräche“.
Die Form ist diesmal etwas ungewöhnlich, insofern, als wir etwas abweichen von dem Format der vorangegangenen Veranstaltungen. Diesmal erwartet Sie eine Lesung, eine Lesung mit dem Spiegeljournalisten Markus Feldenkirchen. Er hatte in der Zeit von März bis September 2017 den Kanzlerkandidaten der SPD, Martin Schulz, durch den Wahlkampf begleitet, war bei den Besprechungen und Krisensitzungen dabei, auch in den Stunden der Bekanntgabe der Wahlergebnisse. Entstanden ist ein Zeitdokument, das nicht nur das erbarmungslose Leben eines Politikers mit seinen Höhen und Tiefen, insbesondere in Wahlkampfzeiten, widerspiegelt, sondern auch Einblicke gibt in die Arbeitsweise einer Partei, einer Parteizentrale, dem Willy-Brandt-Haus in Berlin.
Wie wir alle wissen, war dieser Wahlkampf für die SPD ein Desaster. Man kann nun den Kopf in den Sand stecken und sagen: ok, war ein totaler Schlag ins Wasser, lag am Kandidaten… und die ganze Sache unter den Teppich kehren und am besten schnell vergessen.
Aber so einfach machen wir uns das nicht, wir wollen hier versuchen, etwas differenzierter dem Problem auf den Grund zu gehen und fragen uns: lag es wirklich vor allem an der Person Schulz, lag es nicht vielmehr an der Entwicklung der SPD in den letzten Jahren, angefangen bei der Agenda 2010 und einer Wandlung der Partei, die sich doch sehr verändert hat, weg vom fürsorglichen Sprachrohr des kleinen Mannes, vom Fürsprecher der weniger Privilegierten. Willi Brandt würde vielleicht sagen, hin zu einer Partei, die keine sozialdemokratische Politik mehr macht. Worum es heute also auch geht verbirgt sich verschämt hinter dem Begriff „Erneuerung“, ein Begriff, manchen sagen auch Worthülse, der so oft bemüht wird, dass ihn fast keiner mehr hören kann, der aber auch so gut verpackt ist, dass fast keiner mehr erkennt, wann wie was erneuert wird.
Martin Schulz wollte erneuern, er startete in den Wahlkampf mit folgender Intention: (ich zitiere aus dem Buch):
Martin Schulz wollte Martin Schulz bleiben. Als Gegenmodell hatte er seine Gegnerin Angela Merkel vor Augen, die sich in den Jahren ihrer Kanzlerschaft persönlich wie inhaltlich zu einer Art Neutrum entwickelte und bei der es schwerfällt zu sagen, wer sie ist und wofür sie steht. Schulz hingegen wollte im Wahlkampf genau so reden, handeln und entscheiden, wie er es zuvor getan hatte. Er wollte möglichst unverstellt und ungecoacht ins Kanzleramt kommen. Was wir jedoch beobachtet haben im vergangenen Jahr war eine Kanzlerkandidatur, die wie keine andere in der fast 70jährigen Geschichte der Bundesrepublik ähnlich dramatisch verlief. Über Nacht stieg Martin Schulz zum „fröhlichen Retter einer todtraurigen SPD“ auf, die Umfragewerte schossen auf über 30%. Im März 2017 erhielt Schulz bei seiner Wahl zum Parteivorsitzenden 100% der Delegiertenstimmen, ein Ergebnis, das man in Deutschland bislang vor allem von Politikern wie Erich Honecker und der SED kannte und in einer demokratischen Partei schon fast unanständig wirkt. Sechs Monate später erreichte die SPD mit 20,5% das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte. Weitere 5 Monate später hatte man ihn vom Hof gejagt, mehr noch, man hatte ihm sogar verboten, ein Amt in der neuen Regierung zu übernehmen, dabei hatte er einen Koalitionsvertrags ausgehandelt, der überwiegend eine SPD-Handschrift trug.
All diese Facetten sind nun für eine Partei, in der ein Begriff wie „Solidarität“ – einst Mantra aller linken Bewegungen schlechthin – die dominierende Rolle spielen sollte, wenig schmeichelhaft und man fragt sich: wo ist das Gespür geblieben für das, was die Leute bewegt, für das, was sie von der Politik erwarten? Hier muß z.B. Erneuerung ansetzen und nicht beim häufigen Austausch von Parteivorsitzenden.
Sie, liebe Anwesende, sind bekanntlich die Hauptakteure dieser Veranstaltung. Es geht also auch und vor allem um Erneuerung, die dringend geboten erscheint! Selbstverständlich werden wir in dieser Stunde dafür kein Patentrezept erarbeiten können, aber nutzen Sie die Gelegenheit, um IHRE Ansicht, IHRE Vorstellungen mitzuteilen, woran es bei der Politik und den Politikern und den Parteien krankt. Was bewegt Sie, wo wird Ihrer Meinung nach an den Menschen vorbei regiert. Anders als in Jena bei der Diskussion mit der Bundeskanzlerin arbeiten wir hier übrigens nicht mit ausgewählten Besucherlisten und vorsortierten Fragen.
Und damit begrüße ich herzlich den Redner unserer heutigen Veranstaltung, Markus Feldenkirchen. Er ist Journalist beim Spiegel, Autor im Hauptstadtbüro des Spiegels in Berlin.
Mit seiner Reportage wurde er 2017 zum Journalist des Jahres geehrt.
Wir freuen uns auf einen interessanten Abend und spannende, anregende Diskussionen.